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Die Sehnsucht nach Resonanz in einer Gesellschaft auf der Überholspur

Das Thema Beschleunigung in der Moderne ist so relevant wie nie, da die Gesellschaft sich ständig verändert und die Zeit schneller zu vergehen scheint. Es wirkt so, als leben wir nur für die Arbeit und verlieren uns selbst. Wir funktionieren nur noch und unser Körper wird oft als Werkzeug angesehen. Die Forschungsfrage lautet daher: Wie wirkt sich die Beschleunigung in der modernen Gesellschaft auf uns Menschen aus und ist die Resonanz die Lösung?


 Mit der Beschleunigung der Modernisierung wird das immer schneller werdende Tempo in der Welt beschrieben, sowohl im persönlichen Leben als auch in sozialen Prozessen. Ein Beispiel dafür ist die Technik, vor allem die Nutzung von Smartphones, die unsere Erreichbarkeit verbessert hat. Der Soziologe Hartmut Rosa betont, dass es in der Literatur an einer klaren Theorie der sozialen Beschleunigung fehle (vgl. Rosa, 2013, S. 17f.). Daher entwickelte er den Begriff Beschleunigungsspirale und unterscheidet drei Arten der Beschleunigung: technische Beschleunigung, Beschleunigung des sozialen Wandels und Beschleunigung des Lebenstempos (vgl. Rosa, 2013, S. 20f.).


Der Beschleunigungszirkel (Rosa, 2013, S. 44)
Der Beschleunigungszirkel (Rosa, 2013, S. 44)

Die Beschleunigung hat viele negative Auswirkungen auf unser Leben. Darunter Entfremdung, Stress und Überlastung, die zu Burnout führen können. Hartmut Rosa nennt dies „leeren Zwang“ und meint, dass Beschleunigung nicht mehr für Fortschritt stehe. Das bedeute, dass wir nicht auf ein Ziel zulaufen und unter dem Druck, immer schneller und besser zu werden, untergehen (vgl. Flaux, 2023).

Als Beispiel für eine Desynchronisation, also dem zeitlichen Auseinanderfallen führt er den Klimawandel an: „Wir fällen zu schnell zu viele Bäume, sodass diese gar keine Zeit haben nachzuwachsen“ (Flaux, 2023).

Wie oben bereits kurz angeführt kann diese Überbeschleunigung auch psychische Folgen haben, unter denen viele Menschen leiden. Für dieses Phänomen hat er den Begriff der Entfremdung entwickelt. Er selbst sagt: „Wir Menschen werden vor allem der Zeit entfremdet und unsere Fähigkeit mit der Welt, die uns umgibt, in eine Beziehung zu treten.“ (Flaux, 2023).

Laut Rosa beziehe sich dieses Problem nicht nur auf die Gerechtigkeit und sei kein Luxusproblem, sondern ein falsches Bild der Weltbeziehung (vgl. Flaux, 2023). Dem stimme ich in dem Punkt zu, dass es alle Menschen betreffen kann,

Dennoch trifft die Beschleunigung nicht alle gleich und kann soziale Ungleichheit verstärken. Während Rosa in früheren Werken die positiven Folgen der Beschleunigung nicht ausreichend berücksichtigt hat, sagt er jetzt: „Wir leiden heute nicht unter Beschleunigung per se (…), sondern ich leide unter Entfremdung, die damit einhergehen kann. Und Entfremdung ist die Beziehung der Beziehungslosigkeit (Flaux, 2023).


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Demnach ist das Gegenteil dieser beziehungslosen Beziehung eine bezogene Beziehung, die Rosa in seinen Werken mit dem Begriff der Resonanz gleichsetzt. „Meine These ist, dass es im Leben auf die Qualität der Weltbeziehung ankommt, das heißt auf die Art und Weise, in der wir als Subjekte Welt erfahren und in der wir zur Welt Stellung nehmen (…)“ (Rosa 2016, S. 19). Für Rosa müssen dabei vier Bedingungen erfüllt sein, damit Resonanz eintritt: Etwas berührt oder bewegt mich, ich erhalte eine Antwort, sprich etwas kommt zu mir und ich auch zu ihm, ein Gefühl von Lebendigkeit und Verbundenheit und die Unkäuflichkeit ensteht (vgl. Flaux, 2023).

In einem Interview mit Marie-Joëlle Eschmann aus dem Jahr 2020 zieht Rosa als Resonanzbeispiel die Coronapandemie heran. Alles schien in dieser Zeit stillzustehen. Man hatte auf einmal Zeit für Dinge, die man vorher nicht finden konnte. Er erwähnt kurz die negativen Folgen, betont aber hauptsächlich die positiven Aspekte dieser Entschleunigung.

Dabei vergisst er jedoch einen äußerst wichtigen Punkt: Viele Jugendliche, die in dieser Zeit erwachsen geworden sind, haben ihre Jugend verpasst. Sie konnten sich nicht ausleben und mussten einen Großteil der Zeit in den eigenen vier Wänden verbringen. Homeschooling hat dazu geführt, dass viele Kinder und Jugendliche den Anschluss in der Schule verloren haben. Es mag sein, dass die Burnoutraten niedriger wurden und es zu einer insgesamten Entschleunigung der gesamten Gesellschaft kam, aber zu welchem Preis? Wer musste dafür bezahlen? Diejenigen, die unsere Zukunft stemmen sollen, nämlich Kinder und Jugendliche.

 

Wenn man die Definition Rosas zum Resonanzbegriff näher betrachtet, fällt einem sofort die Nähe zum Achtsamkeitsbegriff auf. Diese bestreitet er jedoch vehement: „Ich habe ein Problem mit Entschleunigung, der Hauptidee der Achtsamkeitsbewegung. Weil sie die Zeit isoliert betrachtet. Aber Zeit ist ein Grundverhältnis, das alle gesellschaftlichen Felder prägt - von Wirtschaft über Politik. Man kann nicht alles lassen wie es ist und einfach langsamer machen (…)“ (Rosa, 2016). Rosa bezeichnet Achtsamkeit als „Upperclass-Problem“ und sieht in ihr eine ökonomische Verwertung, da sie das Bewusstsein nur auf das Individuum lenke und soziale Verhältnisse ignoriere (vgl. Rosa, 2016).


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Das entspricht jedoch nicht der Wahrheit. Achtsamkeit legt sehr wohl einen Wert auf die Außenwelt und die Beziehung zur Umwelt und zu anderen Menschen. Achtsamkeit bedeutet, im Moment zu leben und Dinge ohne Bewertung wahrzunehmen, was Lebensqualität und Verbundenheit fördert. Und es ist doch genau das, was Rosa mit seinen Werken erreichen will oder nicht? Dass die Menschen in einer modernen beschleunigten Welt auch mal zurücktreten und eine resonante Lebensweise in Betracht ziehen. Nur weil dafür jetzt neumodisch der Begriff der Achtsamkeit verwendet wird, heißt es nicht, dass es schlecht ist. Ökonomen schaffen es aus allem Profit zu schlagen, das hat jedoch nichts mit der achtsamen Lebensweise an sich zu tun. Ebenfalls ist es kein Modebegriff oder kurzzeitiger Trend, sondern ein anerkanntes Verfahren in der Psychotherapie. Beispielsweise ist die Achtsamkeit in der Dialektisch-Behavioralen Therapie ein eigenes Modul.

 

Betrachtet man alle Argumente, kann Resonanz eine Lösung für das Problem der Beschleunigung in der modernen Zeit sein, muss es aber nicht. Sie vergisst viele Aspekte, wie die negativen Folgen einer äußerst resonanten Lebensweise in der Coronapandemie. Man kann Resonanz nicht erzwingen, aber es gibt Wege zu einer resonanten oder achtsamen Lebensweise.

Die Beschleunigung führt zu Entfremdung in allen Lebensbereichen und kann psychische Erkrankungen verursachen. Diese Entfremdung beeinträchtigt den Kontakt zur Welt. Resonanz und Achtsamkeit können helfen dem entgegenzuwirken, aber nicht zu verhindern. Die Beschleunigung betrifft alle Menschen unterschiedlich und ist ein gesamtgesellschaftliches Problem, bringt aber auch Chancen mit sich.


Literaturverzeichnis

1)    Eschmann, Marie-Joëlle (2023): Der Soziologe Hartmut Rosa sagt: „Eine Spaltung zwischen den Generationen liegt im Bereich des Möglichen“, in: Neue Züricher Zeitung, 03.04.2020 Online unter:https://www.nzz.ch/feuilleton/coronavirus-hartmut-rosa-zu-chancen-und-risiken-des-stillstands-ld.1549696 (15.02.2025)

 

2)    Flaux, Adèle (2023): Im Gespräch mit Hartmut Rosa, Online unter: https://www.arte.tv/de/videos/RC-024964/im-gespraech-mit-hartmut-rosa/ (16.02.2025)

3)    Rosa, Hartmut (2013): Beschleunigung und Entfremdung: Entwurf einer kritischen Theorie spätmoderner Zeitlichkeit, Suhrkamp Verlag

 

4)    Rosa, Hartmut (2016). Resonanz: Eine Soziologie der Weltbeziehung. Berlin: Suhrkamp.

 

5)    Thöne, Eva (2016): Achtsamkeit als Trend. “Langsamer machen reicht nicht”. Eva Thöne im Interview mit Hartmut Rosa, in: Spiegel Online, 21.03.16. Online unter: http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/resonanz-statt-beschleunigung-hartmut-rosas-gegenentwurf-a-1082402.html (19.02.24).

 


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Mein Name ist Saskia Schleyer. Ich bin tollpatschig, meistens organisiert und schreibe für mein Leben gern. Aktuell studiere ich Journalismus, was mir sehr viel Spaß bereitet. Nebenbei arbeite ich beim Südwestrundfunk. Wenn ich nicht gerade am schreiben bin, singe ich oder gehe mit meinen Freunden feiern.

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